Bauernzeitung, 47. Woche 2024

Wir brauchen unsere Wolle nicht verstecken

In Thüringen ist man für die bessere Verwertung heimischer Schafwolle aktiv. Schließlich ist sie ein biologisch abbaubarer, nachwachsender Rohstoff mit hochwertigen Eigenschaften. Eine Bestandsaufnahme:

Heimische Wolle bringt eine stärkere Kräuselung und Volumen mit. Dadurch ist sie für bestimmte Produkte sogar besser geeignet als Wolle aus Australien oder Neuseeland. FOTO: SABINE RÜBENSAAT

Die Zeiten, in denen die Nachfrage nach und die Wertschätzung für Schafwolle generell hoch waren, ist in Deutschland spätestens seit der Wende vorbei. Heute fällt Wolle meistens nur noch „nebenbei“ in der Lammfleischerzeugung oder Deich- und Landschaftspflege an. Gerade für die gröberen Wollen finden die Schafhalter kaum mehr Abnehmer. Dabei ist Wolle ein biologisch abbaubarer, nachwachsender Rohstoff mit hochwertigen Eigenschaften. Vor diesem Hintergrund schrieb das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 2021 eine Marktstudie aus, u. a. um vielversprechende Märkte für eine bessere Verwertung zu benennen. Diese sahen die Autoren in den Produktgruppen Füllmaterialien, z. B. für Outdoorbekleidung oder die Bettenindustrie, Teppiche, Dünger, Pflanzsubstrate und Torfersatzstoffe sowie Geotextilien, da sich für diese Produkte auch die groben Wollen gut nutzen lassen. Eine eingeschränkte Empfehlung sprachen die Autoren für den Markt der Bekleidungs- und Heimtextilien aus. Hier wurden Potenziale gesehen, wenn es gelänge, noch größere Mengen Wolle in ausreichender Feinheit und einheitlicher Qualität bereitzustellen.

Pioniere setzen auf heimische Wolle

Einige kleine, engagierte Firmen wollen darauf nicht warten. Sie verarbeiten schon jetzt ganz bewusst heimische Schafwolle, auch die gröbere, zu Stoffen, Kleidungsstücken oder Schuhen. Zu den bekanntesten zählt Nordwolle. Das Unternehmen nutzt neben der Wolle von Pommernschafen inzwischen auch die anderer, bedrohter Landschafrassen. Weitere Firmen produzieren aus heimischer Wolle Garne für den aktuellen Strick-Boom, Teppiche, Erosionsschutzsysteme oder Filzprodukte, z. B. Taschen, Lampen oder Reitsättel.
(Der Link zu einer Online-Übersicht solcher Hersteller findet sich am Ende des Artikels.)
Aber dies reicht bei weitem noch nicht, die hierzulande jährlich anfallenden, etwa 6.000 t Rohwolle sinnvoll zu verwerten. Auch in Thüringen ist man deshalb auf mehreren Ebenen für eine bessere Wollverwertung aktiv. Im noch bis Februar 2025 laufenden Projekt „Thüringer Wollqualität“ erfolgt eine Bestandsaufnahme der Wollqualitäten im Land. Finanziert wird das Vorhaben vom Land Thüringen und der EU. In sieben Vollerwerbsschäfereien, die Merinolangwoll- und -landschafe, Leineschafe, Schwarzköpfe und Rhönschafe halten, werden Wollproben genommen und vermessen. Stefanie Kauschus, Agrarwissenschaftlerin, passionierte Schafschererin und Deutsche Meisterin im Woolhandling, also dem Sortieren von Wolle nach Qualität, leitet das Projekt.

Genetisches Potenzial noch breit vorhanden

„Noch sind die Messungen nicht abgeschlossen, aber was wir jetzt schon sehen, ist eine bezüglich Länge und Feinheit sehr inhomogene Wollqualität. Und das nicht nur innerhalb der Herden, sondern auch am einzelnen Schaf, bei allen beprobten Rassen, egal, ob der Betrieb im Herdbuch züchtet oder nicht“, erklärt sie. Der Ursprung des Problems liege insbesondere in der Zeit nach der Wende, als viele Betriebe bei der Auswahl der Böcke andere Prioritäten setzen mussten. Einige Schäfereien und schafhaltende Agrargenossenschaften hätten indes nie aufgehört, auf Wollqualität zu achten. Damit noch mehr Schafhalter wieder, insbesondere auch bei den Mutterschafen, aktiv nach Wolleigenschaften selektieren, müsste der Wollpreis wohl noch deutlich steigen, gibt sich Kauschus keinen Illusionen hin. Trotzdem freut sie sich darüber, dass das genetische Potenzial für eine hochwertige Wolle im heutigen Thüringer Schafbestand offenbar noch relativ breit vorhanden ist. Was können Schäfereien, die einen möglichst hohen Wollpreis erzielen möchten, noch tun? Das fange bei so simplen Dingen wie einem sauberen Scherplatz und dem Aussortieren von urin- und kotbeschmutzten Wollpartien an, meint Kauschus. Aber auch in der Haltung der Schafe könne man einiges beachten. So sollte man Landschaftspflegeflächen möglichst nur mit geschorenen Schafen beweiden und den Kontakt zu besonders problematischen Pflanzen mit Widerhakenbewehrten Samen wie der Klette oder dem Odermennig minimieren. Kauschus hat das Scherhandwerk in Neuseeland gelernt und kommt generell viel herum. Wir brauchen uns in Deutschland mit unseren Wollen nicht zu verstecken, findet sie. „Gerade unsere Vielfalt der Rassen ist ein Vorteil und für jede Wolle gibt es eine Aufgabe. Die grobe Wolle der Landschafrassen eignet sich zum Beispiel gut für Filze, Walk- und Lodenstoffe oder für Geotextilien aller Art.“

Stefanie Kauschus ist Schafschererin, Schafschur-Ausbilderin, Wollsortiererin und Buchautorin. Unter dem Label OstWolle – passion4wool lässt sie selbst heimische Wolle zu Produkten verarbeiten. In Wollprodukten mit regionalem Bezug sieht sie eine Chance für die deutsche Schafwolle, deren Qualitäten heute oft unterschätzt werden. FOTO: JÖRG IBSEN

Ein Teilmarkt sind Geotextilien

Leider haben im letzteren Bereich nur wenige Firmen entsprechende Produkte im Portfolio. Forschungsseitig ist es gut belegt, dass Wolle für den Garten- und Landschaftsbau viele Vorteile mitbringt, nicht nur als Dünger, sondern auch als Vegetationsmatten etwa im Straßen- und Wasserbau, zur Begrünung und Befestigung von Hängen, Böschungen und Ufern. Aber der Transfer in die Praxis hakt. Susanne Herfort vom Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte (IASP) an der Humboldt-Universität zu Berlin kann ein Lied davon singen. Seit 2001 betreut sie praxisnahe Forschungsprojekte zum Thema. „Vorkultivierte Vegetationsmatten aus Schafwolle mit Sedum eignen sich nach unseren Erfahrungen zum Beispiel hervorragend zur Etablierung von extensiven Gründächern. Die Wolle speichert Wasser, liefert Nährstoffe und ist vollständig biologisch abbaubar. Auch dickschichtigere Vegetationsmatten mit Stauden kann man auf Gründächern einsetzen. Bislang sind in diesem Bereich Kokosmatten üblich, heimische Wolle wäre eine nachhaltige, regionalere Alternative. Leider bietet bislang noch keine Firma ein solches Produkt auf dem Markt an“, bedauert Herfort. Ein möglicher Grund besteht in der gesetzlich vorgeschriebenen Hygienisierung der Wolle, die relativ komplex ist. Zwar muss Schafwolle in Geotextilien nicht wie für viele andere Verwendungen gewaschen werden, organische Verschmutzungen sind grundsätzlich kein Problem. Aber aufgrund der Einstufung von Schurwolle in die Risiko-Kategorie 3 für tierische Nebenprodukte nach EU-Recht ist die Hygienisierung Pflicht. An einem optimalen, standardisierten Verfahren dafür forscht das IASP derzeit noch. Zurück nach Thüringen. Ein weiterer Wollakteur im Land ist Dr. Frank Augsten, langjähriger Abteilungsleiter im Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (TLLLR), seit September Abgeordneter im Thüringer Landtag. Auch in dieser Rolle will er sich weiterhin für die Wiederinwertsetzung der regionalen Wolle stark machen.

Wolle muss man waschen können
Eine der wesentlichen Hürden für eine bessere Verwertung der Wolle, die auch in der arktstudie des BMEL identifiziert wurde, ist die hierzulande fehlende Wollwaschanlage. 2009 schloss mit der Bremer Woll-Kämmerei AG die letzte kommerzielle Wollwäsche ihre Tore. Seitdem erfolgt dieser Arbeitsschritt, der für die meisten Verarbeitungen zwingend erforderlich ist, im Ausland. Für kürzere Wege und mehr Flexibilität wäre es gut, wieder eine Waschanlage in Deutschland zu haben. Dazu gab es in der Vergangenheit einige Anläufe. Die Herausforderungen liegen vor allem im hohen Energiebedarf für die Erwärmung des Waschwassers, in der Behandlung der großen Abwassermengen und im Genehmigungsverfahren. Bislang scheiterten alle Initiativen in dieser Richtung. Ein interessanter Ansatz könnte es sein, eine Biogasanlage mit einer Wollwäscherei und einer Faseraufschlussanlage für Flachs und Hanf zu kombinieren. Beide Prozesse erhalten die Wärme von der Biogasanlage, die wiederum die energie- und nährstoffhaltigen Abwässer anteilig als Substrat nutzen könnte. Aktuell wird für dieses Konzept im von der EU und dem Land Thüringen geförderten EIP-Projekt „biogas4textile“ ein Standort in Thüringen gesucht. An dem Projekt sind mehrere Partner aus der Forschung und Agrarbetriebe beteiligt.

Pullover und mehr aus Thüringer Merinowolle

Als potenziellen Wollabnehmer hat er u. a. die aufkeimende Agroforstbranche im Blick. Um neu angepflanzte Baumreihen im ersten
Jahr vor Beikrautbewuchs zu schützen, eignen sich Mulchmatten aus Wolle. Sie erübrigen die mechanische Pflege, die immer auch das Risiko einer Beschädigung der jungen Bäume birgt. „Wir werden nicht die gesamte heimische Wolle im Bekleidungssektor unterbringen können. Für die nicht textiltauglichen Qualitäten sind solche Mulchmatten eine mögliche Alternative“, findet Augsten. Das Interesse aus der Agroforstbranche sei auch schon da, ebenso aus dem GaLaBau. Wenn alles klappt, könnte diese Nachfrage zusammen mit dem baden-württembergischen Hersteller Baur Vliesstoffe, der auch in Zeulenroda-Triebes in Thüringen produziert, und dem Natur-Textil Thüringen e. V. als Vermarkter ab dem kommenden Jahr bedient werden. Noch befindet sich dieser Verein in Gründung. Dahinter stehen verschiedene Unterstützer tierischer und pflanzlicher Naturfasern im Land, u. a. Augsten und Kauschus. Eine der ersten Aktivitäten des Vereins in spe: Die Herstellung einer Musterkollektion mit Pullovern, Westen und Laptop-Taschen, die zeigt, was mit heimischer Wolle möglich ist. Dafür haben die Aktiven des Naturtextil Thüringen e. V. Thüringer Wolle in Belgien in der Wollwäscherei Traitex waschen, von der Spinnerei in Forst/Lausitz zu Garnen und Lodenstoff und u. a. von der Strickerei Anke Hammer StrickArt in Bad Sulza zu Pullovern verarbeiten lassen. Die ersten Stücke der Kollektion wurden auf dem Schäfertag am 10. August in Hohenfelden präsentiert. Mehr zu sehen gab es dann auf den Grünen Tagen Thüringen, Ende September in Erfurt.

Stimmen aus der Textilbranche

Wie bei diesem Beispiel sind es häufig junge, innovative, kleine Unternehmen, die bewusst auf heimische Wolle setzen. Doch wie stehen alteingesessene Firmen der Textilbranche zu dem Thema, von denen es in Deutschland noch einige wenige gibt? Etwa die 1874 gegründete Wagenfelder Spinnerei, eine von sechs in Deutschland verbliebenen Spinnereien; es gab einmal 400 Stück. Die Wagenfelder Spinnereien Gruppe betreibt heute am Standort Wagenfeld, 80 km südlich von Bremen, eine Streichgarn-, eine Halbkammgarn- und eine Open-End-Garn-Spinnerei mit rund 100 Mitarbeitern. Der zweite Standort, eine Kammgarnspinnerei mit 200 Mitarbeitern, befindet sich in der Tschechischen Republik in Nejdek nahe Karlovy Vary. Geschäftsführer Joachim Schulz ist offen für heimische Wolle. Bereits seit 20 bis 30 Jahren setzt seine Firma sie wieder ein, aktuell sind es rund zehn Prozent, entsprechend etwa 100 t der insgesamt pro Jahr verarbeiteten Wolle. „Unsere Wolle bringt mehr Crimp, also eine stärkere Kräuselung und Volumen mit, dadurch ist sie für bestimmte Produkte sogar besser geeignet als die – grundsätzlich sehr hochwertige – Wolle aus Australien oder Neuseeland. Wir setzen heimische Wolle zum Beispiel gerne für Handstrick- und Sockengarne oder für Garne im Heimtextilbereich für Teppiche und Möbelbezugsstoffe ein. Auch Garne für Walk- und Lodenstoffe sind interessant. Und das, obwohl Wolle aus Deutschland als Kammzug, also gewaschen und gekämmt, teurer als die von Down Under ist“, erläutert Schulz, der auch das Amt des Präsidenten der Deutschen Wollvereinigung bekleidet. Gerne würde er neue Produkte vom Garn bis zum fertigen Stoff aus heimischer Wolle mit interessierten Firmen entwickeln. „Dazu müsste ich aber gewaschene und klassifizierte, also nach Qualität sortierte Wolle in gleichbleibender Güte dauerhaft beziehen können. Und zwar in einer Mindestmenge von einer halben, besser einer Tonne.“ Schulz ist verhalten optimistisch, dass solche Kooperationen in Zukunft entstehen: „Mit unserer Wolle könnte man so viel machen, es muss nur jemand wirklich wollen!“

Lilian Hünniger, Susanne Frenzel und Dr. Frank Augsten (v. l.) von der Initiative zur Gründung des NaturTextil Thüringen e. V. bei der Präsentation der ersten Kleidungsstücke aus Thüringer Wolle. FOTO: FRANK HARTMANN

Lausitz. Maximilian Mehler gehört zur 12. Generation des Familienunternehmens und arbeitet gemeinsam mit seinem Vater in der Geschäftsführung. Deutsche Wolle wird in der Tuchfabrik seit jeher und bis heute verarbeitet. „Aufgrund ihrer Feinheit ist sie aber bei uns ein Nischenthema. Der Kunde möchte weichere, feinere Wolle“, sagt er. Es sei zwar ein gewisses gesteigertes Interesse der Kunden an dem heimischen Rohstoff zu erkennen, dieses verbinde sich jedoch im Moment meist noch mit Idealismus. Will sagen: Entsprechende Produkte sind nur für eine bestimmte Käuferschicht interessant, die den Rohstoff mit dem Attribut Regionalität verbindet und dafür die gröbere Qualität in Kauf nimmt. „Damit wir mehr davon einsetzen können, müsste sie feiner werden und dennoch preislich interessant sein“, sagt Mehler. Doch bei niedrigem Wollpreis lohnt es sich für die Schäfereien nicht, Aufwand in eine bessere Wollqualität zu stecken – ein Teufelskreislauf. Kauschus sieht die Zukunft heimischer Wolle deshalb nicht auf dem Weltmarkt, wo sie nicht mithalten könne. Sie nennt das Beispiel Großbritannien. Dort gibt es eine noch größere Vielfalt an Rassen mit zum Teil sehr grober Wolle und die Verwertung klappt trotzdem gut. „Unsere Chancen liegen in vielfältigen, zu den jeweiligen Wollqualitäten passenden Produkten. Bei Produkten für Endverbraucher, etwa Bekleidung, können wir mit regionalem Bezug und einer nachhaltigen, transparenten Herkunft punkten. Daneben brauchen wir mehr innovative Verwendungen wie Geotextilien, Akkustikvliese, Dämmstoffe und vieles andere“, ist sie überzeugt.
Nicole Paul, FachagenturNachwachsende Rohstoffe (FNR)
BMEL-Marktstudie zur besseren Verwertung heimischer Schafwolle: kurzlinks.de/z5s2
Herstellerübersicht „Regionale Wolle“: kurzlinks.de/vl51