Pit Sailer, Ahmad Sukkar und Mohammad Wasem Katib Alban (von links) arbeiten bei der Tuchfabrik Mehler in Tirschenreuth in der Logistik-Abteilung.  Bild: kaz

 

DER NEUE TAG -Oberpfälzischer Kurier Weiden

Ausgabe NR.18 | DIENSTAG, 23. JANUAR 2024

Von Katrin Pasieka-Zapf

 

Vielfalt ist bei der Tuchfabrik Mehler in Tirschenreuth der Schlüssel zum Erfolg. Rund ein Drittel der Beschäftigten besitzt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft – und trotzdem kann aus den vielen Nationalitäten „ein Stoff“ werden.

Tirschenreuth. Ihre Wurzeln liegen im Iran, Syrien, der Ukraine und in acht weiteren Ländern. Bei der Tuchfabrik Mehler in Tirschenreuth ist ein Drittel der Beschäftigten nicht in Deutschland geboren. Wie hier Kommunikation und Integration gelingen, welche Herausforderungen damit verbunden sind und warum diese Mitarbeiter für das Unternehmen wichtig sind, erklärt Geschäftsführer Paulus Mehler bei einem Rundgang durch die Produktionsstatte.

Beim ältesten Tuchhersteller in Deutschland werden Stoffe für Möbel, Kleidung, Uniformen für Bundeswehr, Feuerwehr oder Polizei, Jagdbekleidung oder Trachten hergestellt. 8o Mitarbeiter sind am Stammhaus in Tirschenreuth, 49am Standort in Forst (Lausitz) beschäftigt. Die Belegschaft in Tirschenreuth setzt sich aus 53 Deutschen und 27 Menschen aus elf anderen Nationalitäten zusammen, so der Geschäftsführer.

Eigene Gerberei in Syrien

In der Versand- und Logistikabteilung arbeiten Mohammad Wasen Katib Alban, Pit Sailer und Ahmad Sukkar. Sie kommissionieren die Aufträge, verpacken die verschiedenen Produkte, bereiten die Waren für den Versand vor. Der 42-jährige Mohammad Wasen Katib Alban arbeitet als Lagerist bereit seit sechs Jahren in der Tuchfabrik. Seit vier Monaten besitzt der zweifache Familienvater, der aus Syrien stammt, die deutsche Staatsbürgerschaft – und ist darauf „sehr stolz“. In Tirschenreuth fühle er sich wohl. Sein Kollege Ahmad Sukkar betrieb in Syrien eine eigene Gerberei. In den vergangenen Jahren hat sich der 43-Jährige, den die Kollegen „Thomas“ nennen, zum Versandleiter hochgearbeitet. „Jeder bekommt die Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln“, sagt Mehler. Jüngster im Team ist Pit Sailer. Als Zweijähriger kam er mit seiner Mutter aus Thailand in die Oberpfalz, ist im Landkreis Tirschenreuth aufgewachsen. „Ich bin ein echter Bärnauer‘, sagt der 25-Jährige.

Anfängliche Skepsis

Die Geschichte von Pit Sailer zeigt: Nicht immer steckt hinter einer anderen Nationalität eine Fluchtgeschichte. Bereits vor der Flüchtlingswelle 2015 und dem Angriffskrieg waren bei der Tuchfabrik ausländische Mitarbeiter beschäftigt, etwa spezialisierte Maschinenbauer aus Tschechien oder Mitarbeiterinnen aus der Ukraine. 2015 stellte Mehler erstmals Arbeiter aus Syrien, dem Iran oder afrikanischen Ländern wie Äthiopien und Eritrea ein. Anfangs herrschte bei der Belegschaft durchaus Skepsis, blickt Mehler zurück. Braucht es wirklich ausländische Arbeitskräfte? Entscheidend sei eine klare Kommunikation und Positionierung gewesen. „Ich habe klar zu verstehen gegeben, dass die ausländischen Mitarbeiter in ihrer Tätigkeit die gleichen Aufgaben zu erledigen haben und nicht zum Putzen eingestellt sind‘, sagt er. Andere Länder und damit andere Sozialisierungen seien allerdings auch eine Herausforderung. „Ich musste klare Worte finden, wenn in Einzelfällen neue Mitarbeiter Frauen in Führungspositionen nicht akzeptieren wollten, oder deren Anweisungen nicht befolgt haben“, sagt Mehler. Ein solches Verhalten werde nicht akzeptiert. „Wer hier arbeitet, muss sich an unsere Regeln halten“, sagt er. Viel Kommunikation sei deshalb notwendig, was auch zu Akzeptanz und einem Miteinander führe.

“Wer hier arbeitet muss sich an unsere Regeln halten“

Geschäftsführer Paulus Mehler

Keine Leiharbeit

Mehler stellt aber auch klar: „Wir sind kein Sammelbecken für jeden, der einen Job braucht.“ Es werden nicht wahllos Menschen eingestellt. „Wir besetzen hier qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, bieten aber auch Ausbildungen an“ Am Anfang stehe immer eine zu besetzende Stelle. „Wir versuchen, unseren Personalstamm vorausschauend zu planen“, sagt Mehler. Leiharbeiter oder befristete Verträge gebe es im Unternehmen nicht. Mehler sieht in dieser Art eine gewisse Verantwortung den Beschäftigten Gengenüber. Schließlich wollen auch diese Sicherheit und Konstanz in ihrem Leben. Wird eine Stelle ausgeschrieben, kann sich jeder, der Interesse hat, bewerben. Gerade weil im Unternehmen viele Mitarbeiter verschiedener Nationen sind, spreche sich das auch in deren Freundeskreis herum, erzählt Paulus Mehler. Nach der Sichtung der Unterlagen werden die Bewerber zu einem ersten Gespräch eingeladen. Dabei prüft Mehler „wie gut die Sprachkompetenz ist“. Die Deutschkenntnisse müssen so gut sein, dass eine Einarbeitung möglich, die Funktionsweise der Maschinen erklärt und jeder Arbeitsschritt verstanden werden kann. Inzwischen habe sich auch eine Art Patensystem entwickelt. Mitarbeiter aus anderen Ländern können bei Bedarf übersetzen und bilden so eine wichtige Brücke.

Vereinskleidung gefragt

Nächster Schritt ist dann ein Praktikum. In den zwei oder drei Tagen könne er beobachten, wie sich „die Bewerber schlagen“. Stehen sie nur in der Ecke und beobachten aus der Ferne oder sehen sie sich die Tätigkeiten, die Maschinen aus der Nähe an, stellen Fragen und zeigen Interesse. Gerade weil offene Stellen mit den ausländischen Mitarbeitern besetzt werden konnten, konnte das Unternehmen in den vergangenen Jahren stetig wachsen. „Nach 2022 hatten wir auch 2023 ein erfolgreiches Jahr“, gibt Paulus Mehler einen Einblick. Bei den einzelnen Produkten komme es immer zu Schwankungen. Während der Pandemie brachen die Aufträge von Vereinen oder Karnevalsgesellschaften ein. Dafür investierten die Menschen in Interieur wie neue Möbel oder Vorhänge. Derzeit sei es wieder andersrum, es werde viel Vereinsausstattung geordert. Für 2024 sieht der Geschäftsführer einige Tendenzen dafür, dass die Aufträge wohl etwas zurückgehen werden. Vorausschau end planen sei deshalb das A und O.

Tuchfabrik Mehler

  • Gründung: 1644, seit zehn Generationen in Familienhand, ältester Tuchhersteller Deutschlands
  • Standorte: Tirschenreuth und seit 2016 Spinnerei In Forst (Lausitz)
  • Geschäftsführer: Paulus und Ludwig Mehler
  • Produkte: Stoffe für Möbel, Loden für Uniformen der Bundeswehr, Feuerwehr oder Polizei sowie Jagdbekleidung oder Trachten

DIE GUTE NACHRICHT

Tuchfabrik Mehler: Migration sichert Betrieb

Tirschenreuth. Von wegen „Remigration“: Die Tuchfabrik Mehler in Tirschenreuth ist nicht nur eine der ältesten noch bestehenden Firmen in Deutschland — der Betrieb ist auch ein leuchtendes Beispiel dafür, wie alle Seiten von Migration profitieren können, wenn alle wollen und sich bei der Integration Mühe geben. Mehr als ein Drittel der 80 Beschäftigten in dem Traditionsunternehmen kommt nicht aus Deutschland. Außer den gut 50 deutschen Mitarbeitern, arbeiten Kollegen aus elf Nationen bei der Textilfirma. Sie tragen bei, dass das Unternehmen trotz Fach- und Arbeitskräftemangel und sonstiger wirtschaftlicher Schwierigkeiten prosperiert – und sichern so auch die Jobs ihrer deutschen Kollegen.